42. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe
17th International Congress of the International Society of Psychosomatic Obstertics and Gynaecology
Designer-Vagina - Anmerkungen zur Pornographisierung der Intimität
Gibt es ein „perfektes“ Aussehen für die äußeren und inneren Schamlippen der Frau? Nein, sagen die meisten Menschen in Deutschland, Frauen wie Männer, Ärztinnen und Ärzte. Für eine befriedigende Sexualität ist auch die Form der Klitoris oder der Vagina zweitrangig. Operative Veränderungen sind also keine geeigneten Mittel, um die Erlebnisfähigkeit oder die Zuneigung durch einen Partner zu steigern.
Trotzdem nimmt die Zahl der Frauen, die sich genau diese Ziele durch einen chirurgischen Eingriff in ihrem Intimbereich versprechen, immer weiter zu. Die wichtigsten Impulse hierfür gehen von der Sexindustrie aus, in der neben einer vollständigen Rasur unsichtbare innere Schamlippen heute als Standard gelten. Vor allem Frauen mit einem gering ausgeprägten Selbstbewusstsein lassen sich von diesen Botschaften beeinflussen, wie eine wissenschaftliche Studie gezeigt hat. Sie wünschen sich häufiger eine chirurgische Veränderung ihrer Schamlippen als Frauen mit einem ausgeprägten Selbstwertgefühl. Häufig geäußerte Erwartungen im Zusammenhang mit einem intimchirurgischen Eingriff sind es, „normal“ auszusehen und das sexuelle Erleben – auch des Partners – zu steigern. Allerdings überragen bei der Mehrheit der erwachsenen Frauen die inneren Schamlippen die äußeren. Prof. Dr. phil. habil. Dipl.-Psych. Ada Borkenhagen, Leipzig, betonte anlässlich der Pressekonferenz zum 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) und zum 17. Kongress der International Society for Psychosomatic Gynecology and Obstetrics (ISPOG): “Für eine Steigerung der sexuellen Erlebnis- und Orgasmusfähigkeit durch intimchirurgische Maßnahmen, die über einen Plazeboeffekt hinausgeht, gibt es keinerlei gesicherte Erkenntnisse.“
Parallel zur Eröffnung des „Barbie - The Dreamhouse Experience" am Alexanderplatz in Berlin und der Veröffentlichung des kontroversen Buches der Feministin Naomi Wolf „Vagina - Eine Geschichte der Weiblichkeit“ im Rowohlt Verlag findet im Rahmen des DGPFG/ISPOG-Kongresses ein Symposium zur kosmetischen Genitalchirurgie statt, auf dem sich führende Wissenschaftlerinnen dem Trend zur Verschönerung des weiblichen Genitale auseinander setzen. Die klinische Psychologin Dr. Lih-Mei Liao vom Institute for Women's Health des University College of London hat als eine der ersten bereits 2007 im renommierten British Medical Journal auf die besorgniserregenden Zunahme von Schamlippenverkleinerungen aufmerksam gemacht. Im ihrem Beitrag auf dem Symposium zeigt sie auf, dass es sich bei der weiblichen kosmetischen Genitalchirurgie um einen der am schnellsten wachsenden Wachstumsmärkte plastisch-ästhetischer Chirurgie überhaupt handelt. Nach Angaben des britischen National Health Service haben sich in Großbritannien die Zahlen für die operative Verkleinerung der kleinen Schamlippen in den letzten Jahrzehnten verfünffacht, wobei dies lediglich die von öffentlichen Gesundheitssystem finanzierten Eingriffe betrifft. Die Dunkelziffer privat bezahlter Eingriffe dürfte deutlich höher liegen. Neben der Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema geht Liao besonders auf die Motive und Befürchtungen von Frauen ein, die sich einer kosmetischen genitalchirurgischen Maßnahme unterziehen wollen. Anhand der Ergebnisse einer Analyse der Webseiten der Anbieter von Schamlippenverkleinerungen weist sie auf das fatale, künstliche Schönheitsideal hin, dass dort propagiert wird.
Karen Marieke Paarlberg, Präsidentin der ISPOG, wies anlässlich der Pressekonferenz neben den Risiken der operativen Eingriffe besonders auf den Umstand hin, dass wir bis heute keine Daten bezüglich des Aussehens, der Form und Länge des weiblichen Genitals haben. Im Gegensatz zum männlichen Genitale, das bereits im ausgehenden 19 Jahrhundert eingehend vermessen wurde (wobei die Messdaten beispielsweise. von den Kondomherstellern regelmäßig aktualisiert werden), liegen bis dato keine entsprechenden Messdaten zur weiblichen Vulva vor. Es kann deshalb bisher überhaupt keine Diagnose „Verlängerung der inneren Schamlippen“ gestellt werden. Die operative Verkleinerung der inneren Labien erfolgt deshalb nach dem persönlichen Urteil der Frau und ihres Operateurs bzw. ihrer Operateurin.
Ob einer Frau zu einem intimchirurgischen Eingriff geraten werden sollte, darüber gibt es auch innerhalb unterschiedlicher Berufsgruppen verschiedene Antworten. Plastische Chirurgen raten am häufigsten zu dem Eingriff, Hebammen am seltensten, Frauenärztinnen und –ärzte liegen dazwischen. Univ.-Professorin Dr. med. Beate Wimmer-Puchinger, Leiterin des österreichischen Programms für Frauengesundheit und Initiatorin der österreichischen Leitlinien zu ästhetisch-chirurgischen Eingriffen am weiblichen Genital, stellt auf dem Kongress eine Befragung an 51 Gynäkologen und Plastischen Chirurgen und 29 Hebammen zur kosmetischen Genitalchirurgie vor, die unter ihrer wissenschaftlichen Leitung durchgeführt worden ist, Aufschlussreich ist, dass umgekehrt die Risiken derartiger Eingriffe von den Hebammen am höchsten und von den plastischen Chirurgen am niedrigsten eingeschätzt wurden. Darüber hinaus stellt Wimmer-Puchinger die Ergebnisse einer Studie an 36 jungen Frauen vor, die sich zu einem kosmetischen genitalchirurgischen Eingriff entschlossen haben. Im Vergleich zu einer Gruppe Studentinnen ohne den Wunsch nach einer kosmetischen Genitalchirurgie zeigten die Frauen mit einem solchen Wunsch ein signifikant geringeres Selbstbewusstsein und Selbstwerterleben.
In der Gesamtschau legen die empirischen Ergebnisse wie auch vorliegenden sozialwissenschaftlichen Analysen den Schluss nah, dass die Nachfrage nach kosmetischen genitalchirurgischen Maßnahmen wesentlich dadurch zustande kommt, dass durch die Medien ein hoher Druck aufgebaut wird, einen in jeder Hinsicht perfekten Körper zu präsentieren. Frauen, die einem derartigen Druck kein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entgegensetzen können, sehen sich immer häufiger in der fast ausweglosen Situation, dieser Forderung nur durch einschneidende Maßnahmen mit dem Skalpell nachkommen zu können.
Im Zuge dieser Entwicklung hat das österreichische Parlament 2013 ästhetisch-chirurgische Eingriffe an Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren an eine psychologische Beratung und eine medizinische Indikation gebunden. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat bereits 2009 formuliert: „Für die tägliche Praxis ist deshalb zu fordern, dass vor jeglicher schönheitschirurgischer Operation im Genitalbereich ein ausführliches ärztliches Gespräch, ggf. unter Hinzuziehung eines Psychologen/Psychiaters zu führen ist, insbesondere bei Hinweisen auf depressive Stimmung, Sexualstörung, Selbstwertstörung oder Reifungskonflikt.“ Vor diesem Hintergrund sei angemerkt, dass es sich bei den sogenannten „Leitlinien“ der kürzliche gegründeten Deutschen Gesellschaft für Intimchirurgie und Genitalästhetik in erster Linie um ein Marketinginstrument handelt. Der Text ist vor allem als Operationsanleitung verfasst und entsprecht in keiner Weise der in Deutschland allgemein anerkannten Vorgehensweise, um medizinisch hochwertige Leitlinien zu erarbeiten.
Relevante Literatur:
Borkenhagen, A. Designervagina oder das geschönte Geschlecht. Hrsg. A. Borkenhagen & E. Brähler (2010). Intimmodifikationen – Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen. Psychosozial-Verlag: Gießen.
Braun, V. Weibliche kosmetische Genitalchirurgie. Überblick zum aktuellen Wissenstand und zur aktuellen Debatte. psychosozial 36. Jg. (2013) Heft II (Nr. 132), p. 27-54.
Liao LM, Creighton SM. Requests for cosmetic genitoplasty: how should healthcare providers respond? British Medical Journal 2007, 334(7603): 1090-1092.
Paarlberg, K.M. Der Wunsch nach einer operativen Verkleinerung der kleinen Schamlippen. Ein Vorschlag praktischer Leitlinien für Gynäkologen. psychosozial 36. Jg. (2013) Heft II (Nr. 132), p. 55-60.
„Und alle: Vagina, Vagina, Vagina!” Die Zeit vom 2. Mai 2013, S. 48.
© DGPFG 2013 und ISPOG 2013
Ihre Ansprechpartner:
Prof. Dr. phil. habil. Dipl.-Psych. Ada Borkenhagen, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin, Abt. f. Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsmedizin Leipzig, Ph.-Rosenthal-Str. 55, 04103 Leipzig
Prof. Karen Marieke Paarlberg MD PhD, Gelre Teaching Hospital Apeldoorn Postbus 9014, 7300 DS Apeldoorn The Netherlands. Präsidentin der ISPOG.