DGGG-Kongress 2012
Was hilft, wenn Sex weh tut


9.10.2012 - Etwa ein Drittel aller Paare hat Probleme bei der Sexualität. Entweder haben beide oder eine/r der Partner/innen weniger Lust, als sie es sich wünschen würden. Oder es gibt Probleme, zum Orgasmus zu kommen; nicht selten verursacht der Geschlechtsverkehr Schmerzen – insbesondere bei der Frau: Das, was eigentlich Vergnügen und Befriedigung verschaffen sollte, wird zur gefürchteten Qual.

In der Konsequenz wird die sexuelle Aktivität meist eingeschränkt, oder das Paar wird gar keinen Sex mehr habe . Der Leidensdruck ist hoch, die Lebensqualität vermindert, das Körpererleben verändert. Nicht selten haben Schmerzen beim Sex Auswirkungen auf die Partnerschaft, weil beide unter dieser Situation psychisch leiden.

Auch die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt ist vor Probleme gestellt, weil man nach körperlichen Ursachen suchen muss, aber oft keine eindeutigen Ursachen findet. Mitunter wechselt die Patientin dann den Arzt, aber auch dort werden die Herkunft der Schmerzen und ein erfolgreiches Behandlungskonzept meist nicht gefunden.

Dieses ist ein grundsätzliches Problem bei fast allen Schmerzsyndromen wie z.B. auch dem Unterbauchschmerz ohne körperlichen Befund oder auch häufig bei Kopfschmerz. Bei Kopfschmerzen findet man ebenfalls oft keine eindeutige körperliche Ursache. Der Kopfschmerz existiert aber, ohne dass er mit modernen wissenschaftlichen Verfahren eindeutig erklärt werden kann. Schmerzkrankheiten gehören in der Medizin zu den schwierigsten Problemen, denn der Leidensdruck ist hoch, aber weil keine körperliche Ursache gefunden werden kann, gibt es auch keine schlüssigen Behandlungskonzepte.

Einige Ursachen für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, die auf körperlichen Erkrankungen beruhen, sind bekannt: So kann Endometriose (Gebärmutterschleimhaut am falschen Ort) zu schmerzhafter Regelblutung führen, aber auch den Geschlechtsverkehr erschweren. Eine Endometriose ist meistens durch die körperliche Untersuchung oder durch eine Bauchspiegelung zu erkennen. Sie kann operativ oder medikamentös behandelt werden.

Andere Ursachen für schmerzhaften Geschlechtsverkehr sind Hauterkrankungen, Hautveränderungen oder Hautbeschädigungen, die man entweder unter Vergrößerung sehen oder nach Gewebsentnahme diagnostizieren kann. Diese Veränderungen (wie z.B. Lichen sclerosus) können Schmerzen und Juckreiz verursachen. Im Zweifelsfall müssen sie mit einer Salbe, einer Operation oder Lasertherapie angegangen werden.

Das Hauptproblem ist jedoch die sogenannte Vulvodynie (lat. Vulva=Scheide, griech: Dyne=Schmerz), die zu schmerzhaftem Verkehr, insbesondere beim Eindringen des Penis, führt ohne wesentliche sichtbare Veränderungen.

Hier beginnt das gemeinsame Problem für Arzt und Patientin: Hautveränderungen sind im Allgemeinen nicht sichtbar, auf Berührung ist die Scheide eindeutig schmerzhaft, und die Lebensqualität ist vermindert. Es tut weh, es kann jucken, brennen und stechen und der Geschlechtsverkehr ist kaum möglich. Der subjektive Leidendruck ist höher als bei den sichtbaren Hautveränderungen, bei der Hälfte dieser Paare führen die Schmerzen zur Vermeidung der Sexualität. 9 von 10 Paaren mit dieser Erkrankung sind mit ihrer Sexualität unzufrieden.

Was tun?

Zuerst muss die Ärztin bzw. der Arzt gut ausgebildet sein in Bezug auf Entzündungen und Hautveränderungen des Scheideneingangs und der Scheide. Es muss eine Infektion mit Pilzen, Bakterien oder Viren ausgeschlossen und wenn notwendig behandelt werden.Allerdings sollte man zurückhaltend sein, wenn man im Abstrich Bakterien findet. Denn Bakterien gehören in die Vagina und sind nur selten die Ursache von chronischen Erkrankungen.

Es muss dann zusätzlich auch festgestellt werden, ob die Schleimhaut einen ausreichenden Schleimfilm herstellt. Wenn das nicht der Fall ist, helfen Öle und auch Östrogencremes. die/der Ärztin/Arzt verordnen kann.

Außerdem sollte die/der Ärztin/Arzt ein/e gute/r „Schmerztherapeut/in“ sein und wissen, dass chronische Schmerzen beim Geschlechtsverkehr meistens nichts mit Infektionen zu tun haben und dass Salben oder Mittel gegen Pilze und Bakterien zwar die Patientin und auch ihren Partner beruhigen können, letztlich aber meistens nicht zur Heilung beitragen.

Schmerzen entstehen über Nerven: Ein gemeinsames Gespräch mit der Patientin und dem Partner ist notwendig, um gerade bei chronischen Schmerzen diese „Nervenreizung“ zu erklären. Mitverursachend können auch sexuelle oder körperliche Gewalt oder psychosomatischer Stress oder Partnerkonflikte sein.

Aussichtlos ist die Behandlung aber nicht. Begleitende Verfahren, eventuell unter Anwendung eines Dildos oder eines „Vaginaltrainers“, können hilfreich sein, bei denen die Frau selbst ohne ihren Partner ihre persönliche Erlebnis- und Schmerzschwelle austesten kann. Die/der Ärztin/Arzt soll zugleich ein/e guter „Sexual- und Paartherapeut/in“ sein. Sie/er soll gelernt haben, Fragen der Sexualität offen anzusprechen. Wenn es gelingt, die Scham des Paares zu überwinden, dann ist dies der Schlüssel zur Therapie. Eine offene und ehrliche Aussprache über mögliche Formen einer befriedigenden, gelebten Sexualität – vaginal, oral, anal und die Vielzahl erotischer Varianten - ist notwendig, um dem Paar zu zeigen, dass Sexualität mehr ist als der vaginal fixierte Geschlechtsverkehr.

Gibt es eine „Schmerzpersönlichkeit“?

Es gibt keinerlei Hinweise, dass es eine spezifische „Schmerzpersönlichkeit“ gibt, die zur Vulvodynie führen könnte, wenngleich psychische Faktoren den Schmerz chronisch aufrechterhalten können.

Insgesamt hilft nur der „psychosomatische Blick“, der über reine Betrachtung der Hautveränderungen an der Scheide hinausgeht und das Paar und sein Zusammenleben in den Mittelpunkt stellt.


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Ihr Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heribert Kentenich
Ärztlicher Leiter Fertility Center Berlin
Spandauer Damm 130, Haus 14
14050 Berlin
E-Mail: kentenich(at)fertilitycenterberlin(.)de